
Verhandlungssichere KI
Wie die hauseigene Venture Client Unit OTTOs Lieferantenverhandlungen transformiert
Chatbots haben seit dem Einzug generativer künstlicher Intelligenz einen regelrechten Evolutionsschub erlebt. Ihr Einsatz kann dabei helfen, kleinteilige und wiederkehrende Aufgaben zu übernehmen und Ressourcen für komplexere Angelegenheiten freizumachen. Bei OTTO passiert das beispielsweise im Einkauf: Anfangs setzte OTTO die KI zur automatisierten Verhandlung mit kleineren Lieferanten ein, bei denen sich der manuelle Verhandlungsaufwand durch den Fachbereich wirtschaftlich nicht lohnt. Bald darauf folgte die Anbindung größerer Lieferanten. Den Mitarbeitenden bleibt dadurch mehr Zeit für die persönliche Verhandlungsführung bei komplexeren Vertragsabschlüssen oder für die strategische Planung.
Neueste Technologien vom Start-up-Markt
Wie diese neue Technologie Einzug in OTTOs Einkaufsprozesse gehalten hat, wissen Julia Kunstmann und Arno Baltruschat – Co-Leads bei OTTOs Venture Client Unit OTTO DOCK 6. Sie befassen sich kontinuierlich mit Technologien und veränderten Anforderungen im Unternehmen und matchen diese Bedarfe mit neuesten Innovationen am Start-up-Markt – meistens. „Normalerweise kommen wir aus der Sicht der Problem Owner“, erklärt Julia Kunstmann. „Dieses Mal sind wir durch unsere Vernetzung in die Start-up-Welt auf die Lösung zu einem uns bis dato gar nicht bekannten Problem aufmerksam geworden und haben daraufhin bei uns in der Organisation nachgehorcht. Der Fachbereich war begeistert und hat sofort die Relevanz für die eigenen Prozesse erkannt.“ Nach einem Screening von rund 15 Lösungen am Markt fand OTTO schnell zu dem estländischen Unternehmen Pactum. „Die Technologie von Pactum wirkte im Vergleich zum Wettbewerb sehr ausgereift. Das starke Gründerteam hat uns ebenso wie die namhaften Kunden in Handelsnähe schließlich überzeugt – zudem war Pactum die einzige Lösung, die auch die Anbindung von Bestandskunden vorsah“, erinnert sich Julia Kunstmann.
Persönliche Beziehungen, powered by AI
Zu den Gründern des als zukünftigen Unicorns gehandelten Unternehmens zählt auch Kaspar Korjus, Co-Founder & CEO bei Pactum. Er erklärt, warum sich der Einsatz von AI und Beziehungspflege nicht ausschließen: „Unsere KI hilft Unternehmen und ihren Lieferanten, eine Vereinbarung zu finden, die für beide Seiten funktioniert. So fördern wir auch langfristig gute Geschäftsbeziehungen.“ All das funktioniert ohne Terminvereinbarung und ohne den Griff zum Hörer, wie er bis dato bei OTTO noch üblich war, um Angebote zu verhandeln.

OTTO DOCK6 Co-Lead Julia Kunstmann
Kulturwandel als Teil des Venture Clienting Prozesses
Für die Kolleg*innen im Einkauf bei OTTO war der KI-basierte Angang zunächst einmal neu. Teil der Aufgabe der Venture Client Expert*innen von DOCK6 ist es deshalb auch, die kulturellen Weichen für die Integration neuer Lösungen zu schaffen: „Wir sind um die Ecke gekommen mit einer Lösung, die über reine Digitalisierung hinausgeht und einen eher disruptiven, transformativen Charakter hat. Ziel war es, aus den bestehenden Lösungen bewusst auszubrechen. Wir digitalisieren nicht, wir automatisieren. Diese Möglichkeiten mussten wir einerseits dem Management aufzeigen und dann auch die Weiterbildung der Kolleg*innen gewährleisten, die operativ mit dem Tool arbeiten“, erklärt Julia Kunstmann. Die Expert*innen von OTTO DOCK6 haben dafür im Fachbereich ein Team aufgebaut, um die Integration der Pactum-Lösung weiter zu skalieren.
Auch bei den Lieferanten musste OTTO DOCK6 in Teilen Überzeugungsarbeit leisten: „Viele Unternehmen, insbesondere im Digitalsektor, waren dem Chatbot sehr positiv gegenüber eingestellt. Aber natürlich gab es auch vereinzelte, insbesondere langjährige Lieferanten, die anfangs zurückhaltend reagiert haben. Das nehmen wir natürlich ernst und prüfen, wie wir auf ihre konkreten Bedürfnisse reagieren können und inwieweit wir die Informationsarbeit im Vorfeld hier und da intensivieren müssen, um Irritationen zu vermeiden“, so Baltruschat.
Keine One-size-fits-all-Lösung
Um die Integration so minimalinvasiv wie möglich zu machen, bietet Pactum keine One-size-fits-all-Lösung. Stattdessen kann sie an individuelle Anforderungen angepasst wirden: „Wir wissen, dass jedes Unternehmen unterschiedliche Bedürfnisse und Prioritäten hat. Deshalb ist die KI so eingerichtet, dass sie im Rahmen der Gesamtstrategie, der gesetzten Prioritäten und Grenzen arbeitet“, erklärt Pactum-Chef Kaspar Korjus. Diesen Anspruch kann auch Julia Kunstmann bestätigen: „Pactum hat beispielsweise die bei OTTO sehr spezifischen Zahlungsziele, die eine Zahlung zum Monatsende zuzüglich fünf Tagen vorsehen, sehr flexibel in ihre Lösung eingebunden, auch wenn diese standardmäßig nicht vorgesehen war.“
Von der Pilotphase zum Business Case
In den ersten sechs Monaten der Pilotphase bei OTTO wurden zunächst kleinere Lieferanten angebunden, die bislang gar nicht verhandelt wurden. „Das hat sehr gut funktioniert – der Hochlauf war hier von 0 auf 100“, erinnert sich Julia Kunstmann. Nach dieser Initialphase folgte die Integration größerer Lieferanten – mittlerweile konnten im Rahmen der bisher einjährigen Zusammenarbeit rund 208 Geschäftspartner angebunden werden.
Nach der erfolgreichen technischen Integration richtete sich der Blick der beiden Unternehmen nach vorn – die Frage, welchen Mehrwert die autonomen Verhandlungen mittel- und langfristig für OTTO bringen würde, rückte in den Fokus, erinnert sich Arno Baltruschat: „Sehr früh haben wir dann gemeinsam mit Pactum und dem Fachbereich über eine mögliche Adaptionsstrategie nachgedacht, also darüber, welche Potenziale in der langfristigen Nutzung liegen. Mit Blick auf unseren Business Case einerseits, aber auch, um dem Start-up weiteres Wachstum zu ermöglichen.“

OTTO DOCK6 Co-Lead Arno Baltruschat
Tech made in Europe
Und diese Potenziale sind vielversprechend: Nach der Implementierung der Pactum-Technologie arbeitet OTTO derzeit an der Skalierung des AI-Bot, um beispielsweise das Konditionsmanagement zu transformieren.
Dass die dafür verantwortliche Innovation ausgerechnet aus dem nur 1,3-Millionen-Einwohner-Staat Lettland kommt, überrascht Arno Baltruschat wenig: „Pactum ist ein wunderbares Beispiel für starke Tech-Produkte aus Europa. Oft wird medial das Narrativ eines eher innovations- und digitalschwachen Kontinents bedient. Wir sehen in unserer Arbeit aber sehr häufig, wie stark und innovativ europäische Unternehmen insbesondere im Bereich der B2B-Software sind. Bei OTTO freuen wir uns, wenn wir dieses Ökosystem unterstützen können.“